Und wenn nicht ich, wer dann?
Bevor ich nächste Woche über die Feiertage nach Deutschland fliege, möchte ich an dieser Stelle ein kleines Resümee über meine Arbeit hier ziehen.
Mir gefällt England wirklich und ich freue mich, dass ich in den East Midlands gelandet bin. Ich habe in meiner kurzen Zeit hier viele Freunde gefunden, mit denen zusammen ich die englische oder ihre eigene Kultur entdecken kann. Die Briten unter ihnen haben sich als besonders hilfsbereit erwiesen, wenn es darum ging mir die Besonderheiten ihrer Kultur näher zu bringen. Gut waren sie auch darin, meinen kleinen Schock über eben diese Besonderheiten abzumildern. Aber gerade diese Dinge machen den Aufenthalt hier zu etwas Besonderem. Wenn alles genauso wäre wie in Deutschland, dann gäbe es schließlich keinen Grund ins Ausland zu gehen.
Und ich muss ehrlich sagen, dass ich an den Tage, an denen ich nichts Neues entdecke schon fast ein wenig enttäuscht bin. Andererseits ist es auch angenehm hin und wieder nicht wieder ins kalte Wasser geschmissen zu werden bzw. springen zu müssen. Manchmal fühle ich mich beinahe so, als würde ich dazugehören und seltener denke ich mir, dass das Leben auf der kleinen Insel den Menschen hier doch ein wenig geschadet hatJ
Gestern wurde ich das erste Mal für eine Engländerin gehalten. Okay. Natürlich habe ich mich darüber gefreut, denn mein Ziel ist schließlich meinen zukünftigen Schülern die englische Sprache und Kultur möglichst authentisch nahe zu bringen. Auf der anderen Seite war ich ein bisschen verwirrt, denn als Engländerin durchzugehen heißt gleichzeitig auch, nicht mehr deutsch zu sein. Plötzlich habe ich mich ein bisschen staatenlos gefühlt, eigentlich seltsam, denn ich hatte meine Staatsangehörigkeit bisher nie als Teil meiner Identität gesehen.
Als ich nach England kam, musste ich mich deswegen schnell daran gewöhnen, dass man als Deutscher auch heute noch besonders betrachtet wird. Und so wurde ich sehr vorsichtig mit dem was ich sagte und versuchte immer ein positives Beispiel des jungen Deutschland zu sein und erst dabei habe ich gemerkt, wie schön es in meinem Heimatland eigentlich ist. Diese Botschaft zu vermitteln ohne direkt schräg angesehen zu werden ist aber auch immer eine Gradwanderung. Nicht ganz einfach, obwohl es genau DAS ist, was als Sprachassistentin von mir erwartet wird. Da ich und meine Vorgänger meistens die einzigen Deutschen sind, die die Schüler je kennen gelernt haben, ist mir diese Aufgabe aber auch besonders wichtig.
Vorher habe ich nie wirklich darüber nachgedacht, was es bedeutet deutsch zu sein, vielleicht auch deswegen, weil die meisten Leute in Deutschland diesen Fakt als nicht sehr wichtig empfinden. Vielleicht auch weil mache Deutsche sich immer noch schämen, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen, wenn sie im Ausland sind. Vielleicht habe ich aber auch deswegen nicht darüber nachgedacht, weil ich denke, dass wir außerdem Europäer sind. Ich weiß es nicht, aber jetzt werde ich täglich damit konfrontiert, dass wir sehr umweltfreundlich sind, gute Autos bauen, was Technik angeht – immer noch die Nummer Eins sind, dass wir Kriege anzetteln und Rassisten sind, dass wir gut Fußball spielen, pünktlich und gründlich sind, Bier trinken und Würstchen essen und ganz aktuell: dass das ganze deutsche Volk einer Witzfigur folgt. Dieses Deutschland kenne ich nur bedingt, aber in jedem Vorurteil findet man auch etwas Wahres und so werde ich mir in meinen nächsten fünf Monaten vielleicht darüber klar werden, wie deutsch ich bin und warum. Und außerdem habe ich vielleicht noch etwas Glück damit, den ein oder anderen davon zu überzeugen, dass die Deutschen auch noch mehr auf Lager haben als das Oktoberfest und BMWJ
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